Dr. Mechthild Baumann verfügt über langjährige Expertise im Bereich EU-Projekt-Management. Sie arbeitet u.a. als externe Gutachterin für verschiedene EU-Förderprogramme und berät Antragsteller:innen zu Projektkonzeption und Förderstrategien. Erfahren Sie im nachfolgenden Interview, auf was es beim Schreiben eines erfolgreichen Antrages ankommt und wie es nach der Einreichung mit den Anträgen in Brüssel weitergeht.
1.) Liebe Mechthild, du bist neben deinen langjährigen Tätigkeiten als Beraterin und Trainerin für EU-Projekte auch als Gutachterin für verschiedene EU-Förderprogramme (u.a. Horizon2020, Erasmus+) zuständig. Viele unserer Antragsteller:innen sind neugierig zu erfahren, wer eigentlich die Anträge evaluiert bzw. welche fachlichen Kompetenzen benötigt werden, um für ein europäisches Förderprogramm Anträge begutachten zu können. Wie also wird man Gutachter:in bei der EU?
Die EU-Kommission sucht für inhaltliche Begutachtung der Förderanträge Expertinnen und Experten, die auf dem Gebiet erfahren sind. Ich wurde seinerzeit von einem Brüsseler Mitarbeiter der KoWI (Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen) ermutigt, mich zu bewerben. Die Kommission veröffentlicht regelmäßig Aufrufe für „External Experts“. Die Bewerbungen werden in einem Pool gesammelt und bei Bedarf fragt die Kommission bzw. die Agenturen dann an. So bin ich 2012 zu meiner ersten Evaluation im 7. Forschungsrahmenprogramm gekommen.
2.) Könntest du uns etwas über den Prozess der Evaluation erzählen? Bspw. wie viele Gutachter:innen schauen sich den Antrag an und nach welchen Kriterien wird bewertet?
Grundsätzlich wird ein Antrag von mindestens zwei Gutachter:innen gelesen, größere Anträge auch von drei oder noch mehr Personen. Damit soll eine möglichst faire Bewertung der Anträge gewährleistet werden. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, wird die Liste der Gutachter:innen zusammengestellt, BEVOR die Anträge eingereicht werden. Dann gibt es noch eine zusätzliche Überprüfung möglicher Interessenskonflikte für jeden einzelnen Antrag. Bevor es richtig losgeht mit dem Begutachten, gibt es eine Infoveranstaltung für die Gutachter:innen, in der die Agentur und die Kommission sie über das Programm, den Förderaufruf und die Förderkriterien informieren. Manchmal erstellen die Gutachter:innen auch ein Testgutachten, das gemeinsam besprochen wird. Mit den Vorabinformationen wird sichergestellt, dass alle verstehen, worum es geht und dass alle auf „dem gleichen Nenner“ sind. Übrigens, bei diesen Informationen handelt es sich um die allgemein zugänglichen. Es gibt keine Geheiminfos oder hidden agenda oder was man sonst so gerne hört. Wir lesen das Arbeitsprogramm, begleitende politische Strategien, den Förderaufruf und die Evaluationskriterien. Also all das, was die Antragsteller:innen im Idealfall auch lesen.
3.) Die Beantragung von EU-Fördermitteln umfasst viele Prozessschritte. Aufgrund deiner langjährigen Erfahrungen in diesem Bereich: Wo siehst du für Antragsteller:innen die größten Herausforderungen auf dem Weg zur Antragstellung und wie kann man Antragsteller:innen die Angst insbesondere auch vor den bürokratischen Hürden nehmen?
Meine Erfahrung ist: Zu häufig werden „Kompromissanträge“ eingereicht. Das sind zum Beispiel Projektvorhaben, die nur teilweise zum Förderaufruf passen, oder abgelehnte Anträge, die noch einmal „aufgewärmt“ werden ohne sie gründlich zu überarbeiten. Mein Rat ist: Das Projektvorhaben sollte zu 100% zum Förderaufruf passen. Keine Kompromisse! Dies wäre nur Energieverschwendung, denn es können aufgrund des Andrangs nur die allerbesten Anträge gefördert werden. Das Hauptproblem ist, dass Antragsteller selbst Expert:innen auf ihrem Gebiet sind. Manchmal sind sie zu sehr in ihrem Thema und sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Sie verlieren dann den Blick dafür, was die Geldgeber (in diesem Fall die EU-Kommission) erwartet.Wie stelle ich sicher, dass mein Vorhaben zum Förderaufruf passt? Ich habe mit folgendem Dreierschritt gute Erfahrungen gemacht:
- Der „quick check“. Zuerst prüfe ich die wichtigsten Eckdaten: Ist meine Organisation überhaupt förderfähig? Wann ist die Deadline und schaffen wir die realistisch? Können wir die notwendige Co-Finanzierung beschaffen? Wenn ich an diese Fragen einen Haken setzen kann, gehe ich über zum nächsten Schritt.
- Den Förderaufruf durchdringen. Ich lese ihn genau und versuche zu verstehen, was genau von den Antragsteller:innen erwartet wird. Dabei frage ich mich immer wieder: Kann meine Organisation das leisten? Wenn ich alle Erwartungen des Aufrufs bedienen kann, gehe ich über zum dritten Schritt.
- Den größeren Zusammenhang verstehen. Dazu lese ich das Arbeitsprogramm und ihm zugrunde liegende politische Strategien. Wenn ich die lese, frage ich mich: Würde mein Projektvorhaben zur Linderung der hier benannten Probleme und Herausforderungen beitragen?
Wenn ich nach dieser kritischen „Selbstprüfung“ noch immer der Überzeugung bin, dass mein Vorhaben alle Kriterien des Förderaufrufs erfüllt, dann kann ich loslegen. Dann habe ich die erste große Hürde genommen!
4) Nochmal konkreter gefragt: Gibt es bei den Anträgen etwas, das dir immer wieder auffällt – sowohl im Positiven als auch im Negativen?
Überzeugende Anträge binden auch vermeintliche Nebensächlichkeiten, die im Förderaufruf nur beiläufig erwähnt werden, überzeugend ein. Das kann die Berücksichtigung von Gender-Aspekten sein oder die Formulierung von Kommunikationsstrategien mit einem großen Multiplikationspotenzial oder andere so genannte cross-cutting issues wie Interdisziplinarität.
Wichtig ist, dass man alles begründet. Viele Anträge betonen mantraartig, ihr Vorhaben sei innovativ. Ein Mantra allein reicht allerdings nicht, man muss auch den Beweis führen!
5.) Ein wichtiger Punkt, auf den wir in der Beratung mittlerweile sehr deutlich hinweisen, ist der Perspektivwechsel, den Antragsteller:innen beim Schreiben ihres Antrages einnehmen sollten. Es geht hierbei um die Frage, was die EU als Förderer mit den europäischen Förderprogrammen umsetzen möchte. Mit welchem Mindset oder Bewusstsein sollte ein Antrag geschrieben werden?
Öffentliche Förderung ist politisch! Hast Du Dir schon einmal die Frage gestellt, warum die EU Fördermittel vergibt? Ich selbst habe mir diese Frage lange nicht gestellt und Fördermittel als gegeben betrachtet. Sie waren da und wir brauchten sie für unsere Projekte. Hätte ich mich früher mit der Frage nach dem Warum beschäftigt, hätte ich viel besser verstanden, was die EU mit den Fördermitteln im wahrsten Sinne des Wortes bezweckt und wie wir dies bei der Konzeption unseres Projekts und dem Verfassen unseres Antrags besser berücksichtigen können.
Denn: Mit der Vergabe von Fördermitteln – sei es im Bereich Forschung zu Quantenphysik, Umwelt oder Arbeitsmarktintegration – verfolgt die EU politische Ziele. Die vielen Projekte, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, sind kleine Bausteine im großen Plan zur Erreichung dieser politischen Ziele; dies kann die Förderung von sozialer Inklusion oder die Anpassung an den Klimawandel sein. Wenn ich mein Projektvorhaben in diesen größeren Zusammenhang einordnen kann, verstehe ich besser, was von den Projekten verlangt wird.
6.) Dein Buch „Der exzellente EU-Projektantrag“ gibt einen Überblick, wie man bei der Beantragung von EU-Fördermitteln vorgehen sollte. Zum Abschluss daher noch die 1.000.000-Mio-€-Frage: Was macht deiner Meinung nach einen Antrag erfolgreich?
Ein guter Antrag ist wie ein Pitch, der die Investoren überzeugt. Überzeugende Anträge machen einen individuellen und innovativen Lösungsvorschlag, der auf alle im Förderaufruf genannten Probleme (z.B. soziale Exklusion, Klimawandel) eingeht. Die Methoden, mit denen die Probleme angegangen werden sollen, sind klug und stimmig. Die umsetzenden Personen bringen die notwendige Expertise mit und ergänzen sich gegenseitig. Ein überzeugender Antrag beschreibt auch, wie möglichst viele Institutionen und Personen in vergleichbaren Situationen (Stakeholder) von der Lösung dieses Projekts profitieren können. Außerdem ist ein überzeugender Antrag verständlich geschrieben (kein Fachchinesisch, keine verschwurbelten Sätze!), so dass die Leser gleich verstehen, worum es geht. Damit hat man die besten Chancen auf einen Platz ganz oben im Ranking!
Liebe Mechthild, besten Dank, dass du dir die Zeit für dieses aufschlussreiche Interview genommen hast.

Zur Person:
Dr. Mechthild Baumann ist nicht nur Gutachterin im Auftrag der EU-Kommission, sie gibt ihre Erfahrung und Expertise auch weiter an Universitäten, Unternehmen und NGOs. Diese unterstützt sie bei der Entwicklung ihrer Funding-Strategien sowie bei der Konzeption und Förderung europäischer Projekte in den Bereichen Forschung, Bildung und Innovation. Sie hat selbst über 20 Jahre Erfahrung in der Leitung und Evaluierung europäischer und internationaler Projekte. Im Schäffer-Poeschel- Verlag hat sie zudem zwei Ratgeber zum Verfassen von Förderanträgen für Projekte veröffentlicht.

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